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Der Maldescensus testis ist die häufigste urogenitale Fehlbildung bei neugeborenen Jungen. Er kann sowohl angeboren als auch erworben auftreten. Risiken der Erkrankung sind die Entstehung einer tumorösen Entartung im Hoden sowie Infertilität. Therapeutisch unterscheidet man zwischen konservativem und operativem Vorgehen. Bis einschließlich des sechsten Lebensmonats kann ein spontaner Hodendeszensus abgewartet werden. Neben der operativen Behandlung besteht die Option einer Hormontherapie. Laut den Empfehlungen der deutschen AWMF-Leitlinien soll ein Maldescensus testis zwischen dem sechsten und zwölften Lebensmonat operativ behandelt werden. Diese sind inhaltlich kongruent zu den internationalen Empfehlungen diverser kinderchirurgischer und kinderurologischer Gesellschaften (AAP, AUA, EAU). Vorherige Studien aus dem UKT zum Thema „Einhaltung der AWMF-Leitlinien bei Maldescensus testis“ im Jahr 2014 und 2018 zeigten, dass das mediane Alter der Kinder mit angeborenem Maldescensus testis zum Zeitpunkt der Operation höher als das empfohlene Alter war. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch internationale Studien. Ein möglicher Grund hierfür ist eine verspätete Überweisung der Patienten durch Pädiater.
Die vorliegende Studie untersucht, ob für den Operationszeitpunkt mittlerweile ein Trend hin zum empfohlenen Alter nachweisbar ist. Als Nebenaspekt wurde der Einfluss der Pandemie auf diese Zusammenhänge beleuchtet. Mögliche anatomische Besonderheiten wurden auf ihre Ausprägung bei angeborenen und erworbenen Fällen analysiert. Weiter sollte betrachtet werden, ob der Anteil der verschriebenen Hormontherapien gesunken ist. Um diese Fragen zu beantworten, wurden retrospektiv über zwölf Jahre (2009 bis 2020) Patientendaten ausgewertet. Grundlage der Auswertung stellte die deskriptive Statistik dar. Die Normalverteilung der Daten wurde mit dem Shapiro-Wilk- und Kolmogorov-Smirnov-Test überprüft. Für die Testung auf Signifikanz wurde der Mann-Whitney-U-Test, der zweiseitige Exakte Fisher-Test und der Chi-Quadrat Test zum Signifikanzniveau von 5 % angewendet. Anschließend wurden die Ergebnisse mit der aktuell erhältlichen Datenlage verglichen und diskutiert.
1101 (68,7 %) Patienten hatten einen angeborenen und 501 (31,3 %) einen erworbenen Maldescensus testis. Aus dem UKT wurden 955 (59,6 %) und aus den kinderchirurgischen Arztpraxen 647 (40,4 %) Patientendaten ausgewertet. Das mediane „Alter bei Indikation“ lag für Patienten mit angeborenem Maldescensus testis bei 13 Monaten und mit erworbenem bei 61 Monaten. Das mediane „Alter bei der Operation“ für Patienten mit angeborenem Maldescensus testis lag bei 16 Monaten und für Patienten mit erworbenem Maldescensus testis bei 65 Monate. Das mediane „Alter bei Operation“ von Patienten mit angeborenem Maldescensus testis lag sowohl am UKT als auch in den kinderchirurgischen Arztpraxen bei 16 Monaten. Die Zeitdifferenz, die zwischen Indikation und Operation im Median verging, betrug einen Monat. Über die Jahre zeigte sich kein Trend zu einem früheren Operationszeitpunkt. Bei 421 Patienten lag eine Zeitdifferenz zwischen Indikation und Operation vor. Davon war bei 324 (77,0 %) der Grund für die Verzögerung unbekannt. 128 (8,0 %) Patienten erhielten eine Hormontherapie. Die vorliegende Studie zeigt deutlich bessere Raten an zeitgerechten Operationen als die meisten anderen Studien. Dennoch treten Verspätungen von Operation auf. Jedoch ist das Alter der Patienten jünger als im internationalen Vergleich. Teilweise ist eine Vergleichbarkeit der Studien jedoch schwierig, da in einigen Studien u.a. nicht zwischen angeborenem und erworbenem Maldescensus testis unterschieden wurde. Die Hormontherapie wird in der Literatur noch immer kontrovers diskutiert. Wegen der geringen wissenschaftlichen Evidenz eines positiven Ergebnisses sprechen sich die AWMF-Leitlinien und internationale Leitlinien immer noch gegen eine Hormontherapie als gleichwertige Alternative zur operativen Therapie aus. Unterschiedliche Ausprägungen anatomischer Besonderheiten (Hydatide, Dissoziation) konnten nicht festgestellt werden.
Die Hauptlimitation der Studie stellte die retrospektive Vorgehensweise dar. Um Ursachen für eine verspätete Überweisung zu identifizieren, sollten weitere Studien zum Thema durchgeführt werden. Ferner sollten Überlegungen angestellt werden, wie die Kommunikation zwischen den beteiligten Gruppen (Pädiater, Hausärzte, Kinderchirurgen, Eltern, Patienten) verbessert werden könnte. |
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