Inhaltszusammenfassung:
Zusammenfassung. Theoretischer Hintergrund: Jährlich beenden rund 15 000 Menschen in Deutschland ihr Leben durch eigene Hand. Ein Teil der Suizide geschieht unter klinisch-stationären Bedingungen und stellt ärztliche Behandler wie auch staatsanwaltschaftliche Ermittler vor eine Vielzahl von Problemen bei der Abschätzung einer eventuellen haftungsrechtlichen Verantwortung, die aus der bestehenden Garantenpflicht für den ärztlichen Behandler resultieren kann. Fragestellung: Die im Zeitraum 1988 bis 1996 im Bereich des gerichtsmedizinischen Institutes der Universität Tübingen bei Patientensuizid eingeleiteten gerichtlichen Verfahren wurden auf die juristischen Anforderungen zur Prävention von klinischen Suiziden hin geprüft und sollen den aktuellen Stand der deutschen Rechtsprechung bezüglich dieser unklaren Problematik klären. Methode: Die im Untersuchungszeitraum angefallenen rund 1600 Leichenakten wurden auf die Todesursache Sturz hin untersucht und hieraus die in suizidaler Absicht sowie die unter klinisch-stationärer Umgebung erfolgten Stürze genauer untersucht. Hierfür wurden die Gerichtsakten angefordert und die juristische Entscheidungsfindung auf Vorhersagbarkeit der aus der Garantenpflicht resultierenden Anforderung zur Prävention eines Patientensuizids hin geprüft. Ergebnisse: Aus den zur Verfügung stehenden Leichenakten konnte 139 Mal „Sturz“ als Todesursache ermittelt werden. Vierunddreißig Mal ereigneten sich die Stürze in suizidaler Absicht. Sieben Mal kam es zu Patientensuiziden. In vier Fällen wurde ein gerichtliches Verfahren eröffnet, welches in drei Fällen zur Einstellung führte. In einem Fall wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Geldstrafe aufgrund fehlendem öffentlichen Interesse eingestellt. In vielen Fällen war die lückenlose Dokumentation der klinischen Befunde und Entscheidungen wegweisend für die Einstellung des jeweiligen Verfahrens. Ein Vergleich der großen Suizidstudien mit dem vorliegenden Untersuchungsgut, konnte die allgemein bekannten Suizidprädiktoren bestätigen. Schlussfolgerung: Während vom psychiatrisch Tätigen regelmäßig die Einschätzung und Beurteilung der aktuellen Suizidalität gefordert wird, fordert der Gesetzgeber von den übrigen medizinischen Fachdisziplinen hier eine geringere Sorgfalt, obwohl auch hier geäußerte Suizidwünsche, zunehmende Isolation und Depression als Warnzeichen ernst zu nehmen sind. Eine lückenlose Dokumentation der aktuellen klinischen Befunde und der Entscheidungsfindung des ärztlichen Behandlers sind in der Lage gravierende Nachteile im Rahmen der Klärung einer etwaigen Haftungspflicht zu verhindern. Obwohl sich die bekannten Prädiktoren der großen Suizidstudien auch in unserer Untersuchung bestätigten, ist doch bei der Klärung der jeweiligen Suizidalität der Einzelfall und die besonderen Umstände entscheidend.