Inhaltszusammenfassung:
Das römisch-deutsche Reich des Mittelalters und seine Beziehungen zu den böhmischen Ländern spielten im tschechischen Geschichtsbild des 19. und 20. Jahrhunderts eine bedeutende, gelegentlich gar eine entscheidende Rolle. Denn zum einen sah die tschechische nationale Bewegung im österreichischen Kaiserreich (seit 1867 der Österreichisch- Ungarischen Monarchie), in dem Staat also, von dem man sich nun emanzipieren und schließlich ganz lösen wollte, einen Nachfolger eben jenes alten Reiches und projizierte die eigene Problematik in die Vergangenheit des Mittelalters, in dem man zuletzt Böhmen als selbständigen, ja souveränen Staat zu erkennen meinte. Seine politischen und militärischen Auseinandersetzungen mit dem Reich wurden im nationalen Geschichtsbild geradezu zu einer Leitlinie der eigenen Geschichte, häufig verstanden im Sinne der Konzeption Franz Palackys als Abwehrkampf der friedlichen Slawen Böhmens gegen das aggressive deutschbestimmte Reich. Als die imperialistische Politik des sogenannten „Dritten Reiches", das sich selbst, wenn auch zu Unrecht, in der Reichstradition sah, die erste Tschechoslowakische Republik von der Landkarte löschte, wurde das traditionelle Geschichtsbild neu belebt und verschärft; der „Erbfeindcharakter" des „Reiches" schien sich erneut bestätigt zu haben.