Inhaltszusammenfassung:
Europäische Sozialpolitik und demographischer Wandel stehen schon mit Blick auf ihre öffentliche Wahrnehmung in einem Spannungsfeld. Europäische Sozialpolitik scheint ein Thema für die fachliche Experten-Diskussion zu sein, während der demographische Wandel sowohl in der öffentlichen und politischen Debatte wie auch in Alltagsgesprächen im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen ist. Das Forschungsinteresse in diesem Spannungsfeld leitet sich für die eingereichte Dissertation von zwei Fragen ab: Wie reagiert die Sozialpolitik im europäischen Rahmen auf den demographischen Wandel? Gibt es eine gemeinsame, europäische Politik und/oder eine Verbindung der politischen Handlungsansätze in den Mitgliedsstaaten? Die Politik für ältere Menschen erscheint dabei als ein Politikfeld, an dem sich Politikwandel und Paradigmenwechsel am ehesten nachvollziehen lässt. Es stehen sich zwei Paradigmen gegenüber: Altenpolitik und Seniorenpolitik des aktiven Alterns. Anhand von diffusions- und lernprozessorientierten Ansätzen der Policy-Forschung werden Einflussfaktoren von Politikwandel herausgearbeitet. Neben externen Einflüssen sind relevante Akteure und institutionelle Rahmenbedingungen zentrale Einflussfaktoren für die Aufnahme von neuen Politikinhalten. Zeitlich übereinstimmend mit Veränderungen bei der Wahrnehmung des demographischen Wandels, der Konstellation der Akteure und bei den Governance-Methoden in der europäischen Sozialpolitik entwickeln die Organe der EU in der ersten Dekade des 21. Jhd. eine umfassende Konzeption einer Politik für Ältere. Um eine Verbindung der Entwicklung auf supranationaler Ebene mit der Politikentwicklung in den Mitgliedsstaaten nachzeichnen zu können und weitere Belege für die Wirkung der Einflussfaktoren herauszuarbeiten, wird die Politik für ältere Menschen im Untersuchungszeitraum von 2005 - 2015 prognostiziert und analysiert. Als Verfahren wird dabei ein Methodenmix in Form eines Vertiefungsdesigns gewählt. Mit dem Benchmarkingverfahren Radar-Chart-Analyse wird eine Prognose für Politikwandel in 15 Mitgliedsstaaten der EU erstellt und anschließend mit einem inhaltsanalytischen Verfahren anhand der Sozialberichterstattung von sechs ausgewählten Ländern überprüft. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass die zentralen Einflussfaktoren (relevante Akteure, externer Einflüsse, institutionelle Rahmenbedingungen) eine zutreffende Prognose von Politikwandel ermöglichen. Weiterhin, dass wohlfahrtsstaatliche Prägungen in Bezug auf Geschwindigkeit und Umfang bei der Aufnahme von Politikinhalten wirken, der erkennbare, seniorenpolitische Paradigmenwechsel die Wirkung jedoch relativiert. Für die Untersuchung von Sozial- und Seniorenpolitik im europäischen Kontext haben sich diffusions- und lernprozessorientierte Ansätze der Policy-Forschung in Verbindung mit dem verwendeten Methodenmix als zuverlässige Analyseinstrumente für Politikwandel und Paradigmenwechsel erwiesen.