Inhaltszusammenfassung:
Die stationäre Therapie von psychisch kranken Patienten in Deutschland stellt die Behandler oftmals vor nachhaltige Herausforderungen; Chronifizierungen sind häufig und nach Entlassung kommt es immer wieder zu Rückfällen. Ein Ansatzpunkt, um hier Verbesserungen zu erreichen, könnte die zusätzliche Betrachtung von weiteren sozialpsychiatrischen Aspekten im Rahmen der stationären Behandlung auf der psychiatrischen Akutstation sein. Obwohl eine soziale Teilhabe von psychisch Kranken - die Teilhabe an Bildung und Ausbildung, an sozialen Basisbedingungen wie Familien- und Freundschaftsverhältnissen und Partnerschaften sowie die Teilhabe an sozialrechtlicher Unterstützung und an der Gesundheitsversorgung – in § 27 der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist, kommen diesbezügliche Rehabilitationsangebote häufig nicht ausreichend bei den Betroffenen an. Vorstationär bestehende defiziente Strukturen lassen die Patienten nach vorrübergehender stationärer Stabilisierung über kurz oder lang schließlich wieder dekompensieren.
In der vorliegenden Arbeit wurde der Therapieprozess anhand von Zielkriterien der ICF bezüglich sozialer Teilhabe mit strukturiert und die vom Patienten wahrgenommene Veränderung im Bereich der sozialen Teilhabe im Verlauf der stationären Therapie gemessen. Auch wurde evaluiert, ob sich durch diese zusätzliche Einbindung und Berücksichtigung der Teilhabekriterien die Bewertung des Therapieprozesses durch den Patienten und auch seine Zufriedenheit mit diesem verbesserte.
Zur Erhebung wurde der Fragebogen WHO DAS 2.0 verwendet, welcher die ICF-basierten Domänen der sozialen Teilhabe abbildet. Die erste Messung erfolgte im Rahmen der Aufnahmeroutine zu Beginn des stationären Aufenthaltes. Therapiezielplanung und Therapieprozess fanden unter Einbindung der Domänen der sozialen Teilhabe statt. Vor Entlassung wurde erneut eine Exploration mittels WHO DAS 2.0 durchgeführt. Zusätzlich wurde in die Entlassbefragung ein Kurzfragebogen aus ausgewählten Items des TÜBB, in die Befragung integriert, um von jedem Patienten eine subjektive Bewertung der Aufenthaltsqualität zu erheben.
Es zeigte sich, dass die Therapiezielplanung gemäß WHO DAS 2.0 nur in spezifischen Subgruppen von Patienten einen Effekt hat, und zwar in klar abgrenzbaren Domänen des WHO DAS 2.0: Am ausgeprägtesten wirkte sich die modifizierte Therapiezielplanung auf die Kompetenzen der Patienten in den Aktivitäten des täglichen Lebens (Bewältigung von Haushaltstätigkeiten und Tätigkeiten in Arbeit bzw. Schule) aus, und zwar am stärksten bei weiblichen Patientinnen sowie bei Patienten auf der Depressionsstation. Die geringsten Verbesserungen zeigten sich bei Patienten der Suchtstation. Dies korreliert einerseits mit dem hohen Chronifizierungsrisiko und der schwierigen Herstellung sozialer Teilhabe bei Patienten mit Abhängigkeitssyndromen. Andererseits wird auch der im Durchschnitt deutlich höheren Liegedauer von Patienten mit Depressionserkrankung gegenüber Patienten mit Abhängigkeitserkrankung ein Effekt zugeschrieben.
Eine Untergruppe von Patienten – jene, deren Abschneiden in den Domänen des WHO DAS 2.0 sich jeweils im oberen Quartil der Patientenpopulation befanden – zeigte auch eine Verbesserung in Domäne 1 (Verstehen und Kommunizieren) sowie im Gesamtabschneiden laut WHO DAS 2.0, und zwar insbesondere, wenn sich diese Patienten auf der Depressionsstation befanden und der mittleren Altersgruppe zwischen 31 und 50 Jahren zugehörig waren. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass eine Subgruppe der Altersgruppe von 31 bis 50 Jahren eine erfolgreichere Bildungskarriere hinter sich hat als Patienten in jüngeren Altersgruppen, und noch keine altersbedingte Verschlechterung eingesetzt hat.
In der vorliegenden Arbeit wurden Merkmale von Patienten identifiziert, die prädiktiv für ein gutes Ansprechen der hier beschriebenen Intervention sind. Dies sind weibliches Geschlecht, mittleres Lebensalter sowie die Diagnose einer Depression. Eine Berücksichtigung dieser Ergebnisse könnte zukünftig bei der Durchführung der Intervention in anderen Kohorten im Kontext der Therapieplanung zu einer Effizienzsteigerung beitragen.
Es konnte außerdem anhand des TÜBB gezeigt werden, dass die veränderte Therapiezielplanung eine Verbesserung der Bewertung der interdisziplinären Zusammenarbeit auf der Station sowie des Gesamtaufenthalts durch die Patienten und somit auch eine gesteigerte Zufriedenheit zur Folge hatte. Wenn dies auch kein Maßstab für die nachfolgende soziale Teilhabe sein kann, so ist es jedenfalls ein relevanter Wert für die Therapie an sich und könnte sich positiv auf die Bereitschaft von Patienten zu erneutem Kontakt mit Institutionen der Gesundheitsversorgung auswirken und den Krankheitsverlauf somit positiv beeinflussen.